Vom „Mach das!“ zum „Lass das!“

Hundeerziehung – ein kontrovers diskutiertes Thema. Was darf man, was muss man und was sollte unterlassen werden. Jedes Mensch-Hund-Team hat eigene Vorstellungen vom gemeinsamen Zusammenleben. Jedes Team hat andere Voraussetzungen und Möglichkeiten. Wir möchten euch unseren Weg von der „Mach das!“ Erziehung hin zu einer „Lass das!“ Erziehung beschreiben.

Von damals und heute

Die für mich früher einzige Art und Weise einen Hund zu erziehen war das klassische Konditionieren und das typische (und leider meist gängige) Beibringen von gewünschtem Verhalten und Kommandos. Bei meinem ersten Hund hat dieses reine eintrichtern von Kommandos auch fast immer gut geklappt. Bis auf wenige Situationen lies er sich durch Kommandos lenken. Er hatte Lust neue Dinge zu lernen und sich – bildlich gesprochen – für uns zum Clown zu machen. So sollte es also auch bei Shakeera laufen. Leckerchen hier, positive Verstärkung da, Training nach Training und am Ende? Meist frustrierte Gesichter bei uns und absolutes Desinteresse bei Shakeera. Eine Lösung musste also her.

Das klassiche Konditionieren klappt schon mal nicht. Also habe ich mich schlau gemacht, im Web gesucht, gelesen und einen Podcast nach dem anderen gehört. Immer wieder stolperte ich über das Leiten des Hundes durch ein entsprechendes Mindset. Der Begriff und die Wirkung eines positiven Mindsets – also einer zuversichtlichen und in sich selbst vertrauenden Einstellung – ist mir mit meinem Wissen über psychosoziale Abläufe nicht fremd. Doch was genau mir meine Einstellung bei der Hundeerziehung bringen soll war mir ein Rätsel. Also wie genau nutze ich meine Einstellung, wenn ich meinen Hund eher von etwas abhalte, als ihm genau zu sagen was er machen soll?

Positives Mindset

Eine Einstellung zum Leben zu haben ist durch viele Sichtweisen und Erfahrungen geprägt. Normen, Werte und eigene gemachte Erfahrungen und erlangtes Wissen prägen unsere eigene Haltung – unser Mindset. Wenn wir uns selbst vertrauen und uns selbst etwas zutrauen haben wir eine ganz andere Ausstrahlung nach außen, als wenn wir unsicher und ängstlich sind. Menschen erkennen so etwas in den meisten Fällen und Hunde noch viel stärker. Denn anders als wir Menschen kommunizieren Hunde primär durch die Körpersprache und orientieren sich an der Haltung des gegenüber. Während Kommandos und Sprache/Laute vom Hund erst durch uns erlernt werden muss, geschieht das Lesen der Körpersprache bereits intuitiv und sofort. Der Hund kann demnach viel schneller deuten was der Mensch von einem möchte, wenn er durch Körpersprache, Haltung und Ausstrahlung darauf hingewiesen wird. Eine starke und selbstsichere Ausstrahlung vermittelt unserem Hund eine gewisse Sicherheit und gibt Punkte zur Orientierung. Sind wir hingegen unsicher und geben viele unklare und missverständliche Signale, fällt es dem Hund schwerer so zu interagieren, wie wir es gerne hätten.

Ziel soll es also sein mit einer positiven Einstellung und der Willenskraft eine Verbindung zwischen Hund und Mensch herzustellen und dem Hund durch gezielte Führung ein sicheres Gefühl und eine gute Basis zum geführt werden zu vermitteln.

Mach das

Lass das

  • Vorweg Richtiges Verhalten durch Kommandos fordern
  • primäre Betrachtung des Soll-Situation
  • Führung durch Sprache/Kommandos
  • gewünschtes Verhalten aktiv antrainieren
  • Nicht an Halter / Halterin geknüpft
  • weniger Selbstreflexion 
  • Arbeit mit und am Hund (Training des Hundes)
  • Ziel: Gehorsam auf Abruf
  • Unerwünschtes Verhalten signalisieren, wenn es aufgetreten ist oder droht aufzutreten
  • Führung durch eine positive Einstellung erfordert hohe Selbstreflektion und Arbeit an einem selbst
  • keine Konditionierung, sondern Grenzen und Regeln im Miteinander aufzeigen
  • dem Hund Sicherheit in seinem Handeln geben
  • Hund spiegelt Halter / Halterin
  • Wechselspiel zwischen Ist- und Soll-Situation
  • Ziel: Führung durch Körpersprache und Ausstrahlung

Das klassische autoritäre Training brachte bei meinem Hund überhaupt nichts. Ständiges Stehenbleiben beim Gassigang, weil die Leine zu sehr auf Spannung war zog sich durch den ganzen Spaziergang und nervte Letzen Endes einfach nur alle. Das nervöse zurückrufen, wenn sie sich mit einem Hasen eine Verfolgungsjagd lieferte, löste höchstens noch mehr Jagdtrieb aus als das er ihn schmälerte. Belohnungen geben wenn sie brav an meiner Seite blieb hielt sogar teilweise nur so lange an, bis sie einfach satt oder der Leckerchenbeutel leer war. Doch warum das alles? Was machte ich falsch und was kann ich besser machen?

Überlegung: Führung durch Ausstrahlung.
Ziel ist es dem Hund Sicherheit und Souveränität durch die eigene Haltung zu gewähren und viel durch Körpersprache und klare Ansagen zu lenken. Dabei zu beachten ist immer, dass der Hund unsere Ausstrahlung spiegelt – getreu dem Motto – hast du Angst, bin ich auch unsicher, bist du stark, kann ich mich an dir orientieren und bin sicher bei dir.

Um diesen Zustand zu erhalten sollte sich zunächst deutlich gemacht werden was die Ist-Situation ist und welche Soll-Situation ich hervorrufen möchte. Dazu zählt nicht nur die Ist- und Soll-Situation des Hundes, sondern viel mehr die Situation des Menschen am anderen Ende der Leine. Welche Haltung habe ich, wie setze ich diese Haltung ein und was vermittle ich damit meinem Hund? Was möchte ich erreichen und wie sollte meine Haltung sein, damit mein Hund sie auch versteht? Wie kann ich freundlich, aber bestimmt meinem Hund signalisieren welches Verhalten gerade angebracht und welches unerwünscht ist?

Wichtig ist es, sich darüber bewusst zu sein, dass die eigene Verfassung und Haltung dem Hund Signale sendet und ihn womöglich bei, für uns, negativem Verhalten bestärkt oder ihn von, für uns, positivem Verhalten abhält. Hunde möchten sich an uns orientieren und gemeinsam mit uns alles um die eigenen Vierwände erkunden. Dafür benötigt er aber uns und unsere Ausstrahlung, um sich adäquat in der Welt da draußen anzupassen.

Unsere Baustellen

In unserem Fall hieß die Auseinandersetzung mit den Ist- und Soll-Situationen konkret folgendes:

Unsere Baustellen waren, dass Shakeera im Freilauf oft auf andere Menschen und Hunde zugelaufen ist, sie oftmals Schwierigkeiten hatte die Leinenführigkeit einzuhalten und natürlich ihr super starker Jagdtrieb, weshalb jedes Wildtier um sein Leben bangen musste. Mit diesem Wissen ging ich in die Phase des Wunschdenkens – der Soll-Situation – wie soll das Verhalten sein. Shakeera soll es lassen ungefragt an der Leine zu ziehen, zur Jagd zu gehen oder aber zu anderen Lebewesen zu laufen. Im Besten Fall bleibt sie im Freilauf stehen, wenn sich ihr jemand nähert und wartet auf meine weitere Führung.

Ist und Soll waren also geklärt. Dann ging ich in eine weitere Reflektionsphase. Ich Begann darüber nachzudenken wie der Umgang zwischen mir und Shakeera ist. An welchen Tagen wir beide gut funktionieren und an welchen eher schlecht. Letztlich kam ich zu einer spannenden Erkenntnis. An Tagen in denen ich mich nicht auf sie konzentrierte und selbst schlecht zurecht war, war ich keine gute Orientierung für Shakeera. Ich gab ihr viele Spielräume und strahlte nur wenig deutliche Signale aus. So kam es dazu, dass sie anfing meine Rolle als Rudelführerin zu übernehmen und meine Unsicherheit zu zeigen. 

Ich überlegte also wie ich in Situationen wirkte als unsere Baustellen plötzlich keine mehr waren und wie ich wirken musste als alles nur schief ging. Bisher fand ich meistens den Fehler bei mir. Für Shakeera waren meine Signale nicht unbedingt ganz klar.

Der Rückruf vom Hasen klappte mal sofort (und danach noch weitere 4 Male), dann aber wieder gar nicht.

Gründe: 

  • achtete nicht auf ihre Signale (Blick zu mir, angespannte Körperhaltung)
  • war besorgt in meiner Stimmlage (Signal für sie – etwas stimmt nicht, ich bringe das schnell zu Ende)
  • war zu aufbrausend (motivierte sie mit meiner hohen Stimme)

Die Leinenführigkeit im Park ist an manchen Tagen tadellos und an anderen sehr defizitär und frustrierend

Gründe:

  • bin selbst überdreht und unruhig (Shakeera spiegelt das)
  • schenke Spuren zu viel Aufmerksamkeit (verfolge das Eichhörnchen selbst gespannt und blicke ihm nach)
  • achte nicht auf ihre Signale und möglichen Gründe zum Zug an der Leine

Panik an Silvester oder bei Unwetter. Shakeera zeigt sich besonders panisch und zieht sich vermehrt zurück. Sie lässt sich nicht aus diesem Zustand herausholen.

Gründe:

  • Vermittle keine Ruhe und Sicherheit und lasse mich von der Angst meines Hundes anstecken (Gegenübertragung)
  • Verhalte mich unnatürlich und zeige, dass etwas nicht stimmt (besonders aufgeregt)

Wichtig ist es dem Hund nicht nur zu verbieten etwas zu tun, sondern ihm eine alternative zu geben. Zum Beispiel kann der Blick gezielt wieder auf die Aktivität mit mir selbst gelenkt werden. Eine souveräne Ausstrahlung signalisiert dem Hund die Priorität seiner aktuellen Handlung und lenkt den Blick wieder auf den vorgegebenen  Weg seines Rudelführers / seiner Rudelführerin.

So ist es wichtiger, dass der Hund bei mir bleibt, anstatt einer Beute nach zujagen. Ebenso ist es wichtig, dass sich mein Hund auf mich verlassen kann und merkt, dass ich Situationen im Griff habe. Ganz ohne das Kommando „Beifuß“ oder „hier“ bleibt mein Hund an meiner Seite und orientiert sich an mir und meiner Ausstrahlung.

Apropos Ausstrahlung und Orientierung…
Wie Anfangs beschrieben klappte der „Mach das“ – Weg bei meinem ersten Hund gut. An meine Grenzen geriet ich jedoch als er einen Groll auf den Postboten hegte. Sobald es klingelt springt er an die Tür und bellt was das Zeug hält. Alles Training nützte auch hier nichts. Durch die Führung mit meiner Körpersprache entwickelte sich sein negatives Verhalten zurück und lies sich besser kontrollieren. Er gehr in den Hintergrund und akzeptiert „Marilyn macht das. Sie hat es im Griff. Ich kann mich zurücknehmen“. Diese Entwicklung bei ihm zu sehen macht mich jedes mal mächtig stolz!

Was ich gelernt habe und lernen musste

Bedeutet es jetzt aber, dass ich nur souverän mit meinem Hund umgehen kann, wenn ich eine positive Ausstrahlung habe? Jein.
Schlechte Tage hat jeder mal und somit vielleicht auch nicht immer die beste Aura. Wichtig ist nur, dies zu erkennen und auf sich selbst zu achten. Wenn ich zum Beispiel merke und mein Bauchgefühl mir sagt, „heute ist kein guter Tag Shakeera laufen zu lassen“ dann lasse ich sie auch mal an der Leine. Wenn ich merke ich schaffe es heute nicht klar in meiner Ausstrahlung zu sein, dann verzeihe ich auch „Fehler“ von Shakeera und ärgere mich nicht zu sehr. Wenn Dinge einmal nicht so funktionieren überlege ich mir, was denn schon gut geklappt hat. Hat Shakeera zum Beispiel vorher Blickkontakt gesucht, um sich zu vergewissern, ob das Losrennen zum Hasen okai ist und habe ich es vielleicht nur nicht wahrgenommen bzw. es deutlich genug erlaubt oder verboten? Das Glas ist dank dieses Ansatzes eher halb voll als halb leer. Denn aus jeder Situation lässt sich etwas positives ziehen.

Ich habe viel beim Erlernen der Leitung durch positives Mindset über mich und das Miteinander mit meinem Hund erkennen dürfen. Alles in allem kann ich mich selbst besser einschätzen und weiß auch, wann ich wie reagieren und handeln kann und wo meine Grenzen liegen. Ich bin entspannter im Umgang und der Toleranz mit Fehlern geworden und verzeihe Fehltritte schneller, da sie auch immer ein Fehltritt meinerseits sind. Ich bin feinfühliger im Erkennen von Feinzeichen geworden und kann sowohl mich als auch meinen Hund besser lesen.

Ich habe erkennen müssen, dass meine Stimmung und Ausstrahlung nicht nur ein Aspekt ist der nur mich betrifft, sondern auch auf meine Umwelt einwirkt. Besonders als Rudelführerin ist eine klare und eindeutige Haltung wichtig und unabdingbar für meinen Hund. Negative Erlebnisse gehören zu dem Alltag mit Hund dazu und sind nicht auszuschließen! Vielmehr kann man aus diesen Situationen lernen und in einen Selbstreflektionsprozess gehen in dem man noch viel mehr über sich und den Hund lernt als just in der Situation. Ich gehe entspannter und ruhiger in jeden Spaziergang und freue mich darüber, dass meine Führung zu 90% klappt und das auch noch zu 100% ohne Leckerchen und überschwängliches Lob!

Du bist interessiert an dem Thema und versuchst einen Einstieg in das ganze zu finden? Dann kann ich dir folgenden Podcast sehr ans Herz legen:

Deine Gassi-Runde als Heldenreise > mit Deinem Hund wortlos verbunden! von Birgit Schmitz


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